Sexarbeit ist ein kontrovers diskutiertes Thema, das von vielen Annahmen geprägt ist. Wir alle haben Bilder im Kopf – davon, wie Sexarbeitende aussehen und handeln zum Beispiel. Manche glauben zu wissen, was Sexarbeitende brauchen. Mehr noch: wovor sie beschützt und gerettet werden müssen.
Auf viele Sexarbeiter*innen treffen diese Vorstellungen jedoch nicht zu. Dass sie dennoch so weit verbreitet sind, liegt unter anderem daran, dass in der Öffentlichkeit meist Menschen zu Wort kommen, die selbst keine Erfahrungen mit der Sexarbeit haben. Die Lebensrealitäten von Sexarbeitenden sind vielfältig – mit unterschiedlichen Herausforderungen, Bedürfnissen und Privilegien. Sie sind Teil der Gesellschaft und leben auch in Deiner direkten Umgebung. Vielleicht hast Du sie nur noch nicht kennengelernt.
Darum ist die Entstigmatisierung so wichtig
1. Gesellschaftliche Teilhabe
Das Stigma verhindert die gleichberechtigte Teilhabe von Sexarbeiter*innen an der Gesellschaft. Sie haben die Wahl: Entweder verheimlichen sie ihre Arbeit – oder sie leben mit Ächtung und Ausschluss. Mehrfach diskriminierte Menschen trifft das besonders: zum Beispiel Frauen, TIN* oder queere Sexarbeitende, von Armut betroffene und/oder alleinerziehende Eltern, Menschen mit Migrations- und/oder Rassismuserfahrung, Menschen mit Behinderung oder chronischen Erkrankungen.
2. Gewaltprävention
Stigma und Scham fördern Ausbeutung und Gewalt. Scham setzt Sexarbeitende unter Druck, macht sie verletzlich für Machtmissbrauch. Stigma bildet den Nährboden für körperliche und psychische Gewalt und schafft Isolation.
3. Entstigmatisierung stärkt die Demokratie
Eine starke Demokratie braucht vielfältige Stimmen. Das geht nur, wenn alle Menschen gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben können, ihre Perspektiven Wertschätzung erhalten und ihre Geschichten gehört werden. Dafür ist es notwendig, dass wir allen Menschen mit Respekt begegnen, sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Privatleben. Entstigmatisierung hilft dabei, die Stimmen von Sexarbeitenden hörbar zu machen, stärkt dadurch die demokratische Kultur und ist ein Schritt zu einer inklusiveren, gleichberechtigten Gesellschaft.
Was kann ich tun?
1. Unterstütze dabei, das Stigma abzubauen.
Widersprich, wenn du Klischees über Sexarbeitende siehst oder hörst. Verweise auf diese Webseite oder auf die Aufklärungsarbeit von Sexarbeitenden, z.B. in den Sozialen Medien. Häufig wird versucht, mit Polarisierung Stimmung zu machen (z.B. Sexarbeitende »verkaufen ihren Körper«, »Prostitution ist immer Gewalt« oder Begriffe wie »Elendsprostitution«). Interveniere, wenn Du Zeug*in von Polarisierung und Polemik wirst.
2. Hilf mit, Sexarbeitende respektvoll zu behandeln.
Wenn Du ein freiwilliges oder unfreiwilliges Outing einer sexarbeitenden Person mitbekommst – zum Beispiel bei der Jobbewerbung, in der Arztpraxis, in Schule und Kita, bei Behörden, in Freund*innenschaften und romantischen Beziehungen – hast Du Einfluss darauf, dass kein Ausschluss entsteht. Beteilige Dich nicht an Abwertung, sondern biete Unterstützung an.
3. Informiere Dich.
Informiere Dich anhand von Quellen, die verschiedene Perspektiven auf die Sexarbeit zulassen. Eine gute Quelle verwendet keine Klischees und liefert keine einfachen Antworten auf komplizierte Fragen. Wenn du merkst, dass ein Bericht, eine Reportage oder ein Interview nur negativ oder nur positiv über Sexarbeit berichtet, bleibe kritisch und hinterfrage, welcher Zweck damit verfolgt wird. Wenn eine sexarbeitende Person Dir von den eigenen Erfahrungen berichtet, höre zu.
4. Spende an Sexarbeitenden-Selbstorganisationen.
Zu unserem Spendenformular aufrufen kommst du über diesen Link, oder den 'SPENDEN' Button auf dieser Seite.
F.A.Q.
Was wollen Sexarbeitende?
Sexarbeitende wollen in erster Linie gute und sichere Arbeitsbedingungen. Sie fordern zudem Akzeptanz und Verständnis, sowohl auf menschlicher als auch auf professioneller Ebene. Dazu zählt, dass sie die gleiche Behandlung wie andere Berufsgruppen erfahren.
Was ist Sexarbeit?
Sexarbeit ist eine Lohnarbeit, bei der sexuelle Dienstleistungen angeboten werden. »Der Körper« wird dabei nicht »verkauft«.
Für viele Menschen, zum Beispiel ältere und/oder sozial isolierte Menschen oder Menschen mit Behinderungen können Sexarbeitende eine wichtige Rolle spielen, indem sie emotionale und körperliche Nähe bieten, die sonst fehlt.
Für die Sexarbeit braucht es eine Reihe wichtiger Fähigkeiten, beispielweise Arbeitsplanung, Zeitmanagement, Kenntnisse in der Buchführung, im Marketing und weitere betriebswirtschaftliche Fähigkeiten. Aber auch Wissen über Infektions- und Arbeitsschutz sowie Sicherheitskonzepte – und nicht zuletzt Softskills wie ein hohes Maß an Empathie, die Fähigkeit, sich auf verschiedenste Situationen einzustellen, sowie mit herausfordernden Situationen umgehen zu können. Darüber hinaus braucht es häufig Spezialkenntnisse in einzelnen Bereichen der Sexarbeit (z.B. Massage oder BDSM).
Die sozialen Hintergründe, persönlichen Biographien und Erfahrungen von Sexarbeitenden bilden eine ebenso große Vielfalt ab wie die Dienstleistungen, die sie anbieten. Ob Sexualbegleitung, Escort-Service, Sexarbeit auf der Straße, Tantramassage, Bordell oder SM-Studio: Die Auswahl ist groß und die Angebote sind divers.
Was KEINE Sexarbeit ist: Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung sowie Zuhälterei. Hierbei handelt es sich um Straftatbestände, die im Strafgesetzbuch verankert sind. Sexarbeit ist eine konsensuelle Dienstleistung zwischen volljährigen Personen und findet ohne Zwang oder Druck durch Dritte statt.
Warum sagt ihr »Sexarbeit« und nicht »Prostitution«?
Seit Mitte der 1970er Jahre gibt es den Begriff »Sexarbeit«. Er wurde von Sexarbeitenden selbst eingeführt. Der Begriff Sexarbeit betont den Arbeitscharakter der Tätigkeit und ermöglicht es, Arbeitsrechte und Respekt einzufordern. Deswegen verzichten viele auf den Begriff »Prostitution« und verwenden stattdessen den Begriff Sexarbeit. Dieser impliziert immer Konsens und Freiwilligkeit aller an der sexuellen Handlung Beteiligten. Liegt einer der beiden Aspekte nicht vor, so kann nicht von Sexarbeit gesprochen werden, sondern von strafrechtlich relevanten Handlungen.
Ist Sexarbeit in Deutschland erlaubt?
Ja, Sexarbeit ist in Deutschland erlaubt und durch das so genannte Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) reguliert. Dieses Gesetz ist am 1. Juli 2017 in Kraft getreten. Was das Gesetz genau beinhaltet, findest du auf der Webseite von Hydra. Das Gesetz wird von verschiedenen Seiten kritisiert, z.B. vom Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter (bufas), dem Hydra angehört.
Wie verhalte ich mich als Kunde*Kundin einer sexarbeitenden Person?
Wie bei jeder anderen körpernahen Dienstleistung auch. Hier findest du acht Tipps, wie Du einen guten Eindruck hinterlassen kannst:
1. Sei höflich.
2. Verzichte auf Alkohol oder andere Substanzen.
3. Sei verlässlich. Klare Verabredungen über Grenzen und Preisabsprachen helfen, Enttäuschungen zu vermeiden.
4. Nein heißt Nein.
5. Sorge für ein gepflegtes Äußeres und einen sauberen Intimbereich.
6. Praktiziere Safer Sex.
7. Geschäft ist Geschäft. Respektiere die Privatsphäre von Sexarbeitenden.
8. Bei Verdacht auf Zwang oder Gewalt: Informiere eine Fachberatungsstelle in Deiner Stadt.
Was kann ich tun, um das Stigma abzubauen?
1. Bilde Dich weiter und sei kritisch.
Viele Medienberichte stigmatisieren Sexarbeiter*innen. Hinterfrage das Bild, das in der Öffentlichkeit gezeichnet wird, und informiere Dich stattdessen mithilfe unterschiedlicher Quellen. Achte bei Deiner Recherche immer darauf, mit welchem Zweck die entsprechende Quelle über Sexarbeit berichtet.
2. Reflektiere Deine eigenen Vorurteile und auch Deine Privilegien.
Die meisten Vorurteile sind einem nicht bewusst. Fast alle Menschen haben gewisse »Bias«, die ihre Haltungen beeinflussen – ob sie es wollen oder nicht. Nur wenn Du Dir bewusst machst, welche Vorurteile und Bias Dich prägen, kannst Du sie auch abbauen. Dabei hilft es, sich zu fragen, ob man selbst von Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus, Ableismus, Klassismus usw. betroffen ist oder eher weniger bzw. gar nicht.
3. »Rights not rescue«.
Die meisten Sexarbeitenden wollen nicht mit der Sexarbeit aufhören. Und ganz sicher wollen sie nicht »gerettet« werden. Stattdessen kämpfen sie um rechtliche Gleichstellung, gute und sichere Arbeitsbedingungen und gesellschaftliche Anerkennung. Hilf mit, das Stigma zu beenden, damit sie gefahrlos und offen über ihre Tätigkeit sprechen können.
4. Erkenne an, dass Sexarbeit Arbeit ist.
Sexarbeit ist eine Lohnarbeit, bei der sexuelle Dienstleistungen angeboten werden. »Der Körper« wird dabei nicht verkauft. Es braucht eine Reihe an Fähigkeiten, um diesen Beruf ausüben zu können.
5. Setze Dich für Sexarbeiter*innen ein, wenn Du diskriminierende Gespräche über sie mitbekommst. Egal, was Du persönlich von Sexarbeit hältst – Respekt und Akzeptanz sollten selbstverständlich für Dich sein.
Ich bin in der Sexarbeit – wo bekomme ich Unterstützung?
In der Fachberatungsstelle und im Café von Hydra erhältst Du sowohl Informationen und Unterstützung bei Deinen Anliegen. Du kannst persönlich vorbeikommen oder über unser Online-Tool ein Beratungsgespräch führen. Wenn Du eine akzeptierende Beratungsstelle in Deiner Nähe suchst, dann schau auf der Webseite des Bündnisses der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter (bufas).
Mein*e Partner*in ist in der Sexarbeit – wie verhalte ich mich?
Zu diesem Thema haben wir ein Zine veröffentlicht, das Du hier (Download-Link) downloaden kannst.
Ist Sexarbeit nicht (Selbst-)Ausbeutung?
Sexarbeitende haben nach Abwägung ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten selbst die Entscheidung über ihren Beruf getroffen. Zu behaupten, sie würden sich selbst ausbeuten, spricht ihnen ihre Autonomie ab. Du kannst stattdessen mithelfen, ausbeuterische Verhältnisse zu bekämpfen und das Stigma abzubauen.
Warum entscheiden sich Menschen dazu, Sexarbeit zu machen?
Die Gründe, warum Menschen der Sexarbeit nachgehen, sind vielfältig. Manche haben einfach Lust darauf, für andere stehen ökonomische Gründe im Vordergrund. Wieder andere entscheiden sich dafür, weil sie gern mit Menschen arbeiten, sich flexible Arbeitszeiten wünschen oder besonders selbstbestimmt arbeiten möchten. Einige machen auch einfach ihr Hobby zum Beruf. Für viele Menschen ist die Sexarbeit zudem ein willkommener oder notwendiger Nebenerwerb zu ihrem Hauptberuf.
Wo finde ich weitere Informationen?
Über Sexarbeit informieren Berufsverbände, Fachberatungsstellen, aber auch individuelle Sexarbeitende oder Frauenverbände. Hier findest Du eine kleine Auswahl an Links. Auf die Inhalte dieser Seiten haben wir keinen Einfluss und können die Richtigkeit der Angaben nicht bestätigen.
Ausführliche Informationen zum Thema Sexarbeit findest Du auf den Seiten des Bündnisses der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter (bufas) und dem Berufsverband Sexarbeit (BesD), sowie auf den Seiten der Fachberatungsstellen zu Sexarbeit, z.B. bei (Hydra) oder der (Dortmunder Mitternachtsmission). Wenn Du Fragen zum Thema Menschenhandel hast, dann schau Dir die zahlreichen Veröffentlichungen des Bundesweiten Koordinierungskreises gegen Menschenhandel (KOK) an. Brauchst Du für Deine Recherche oder für Deine Organisation externe Expertise? Dann versuch es doch bei Ruby Rebelde. In Berlin gibt es außerdem von Sexarbeitenden entwickelte Stadtführungen, die Red Light Walks. Oder hör Dir die Podcast-Serie DESIRE in der ARD-Mediathek an.
WER WIR SIND
Die Anti-Stigma-Kampagne ‡»We Are People – Stop The Stigma« wird von »Hydra e.V. – Treffpunkt und Beratung zu Sexarbeit und Prostitution« umgesetzt. Hydra setzt sich seit 1980 für die rechtliche und soziale Gleichstellung von Sexarbeiter*innen mit anderen Erwerbstätigen ein. Der Verein engagiert sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen von Sexarbeiter*innen und kämpft gegen ihre Diskriminierung und gesellschaftliche Stigmatisierung.
»Unsere Vision ist die Entstigmatisierung und Entkriminalisierung von Sexarbeit. Wir sind der Überzeugung, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben sollten, um selbstbestimmt über das eigene Leben entscheiden zu können.«
WE ARE PEOPLE
Die Kampagne »We are People – Stop The Stigma« hat das Ziel, Sexarbeitende als Menschen zu zeigen und das Stigma abzubauen. Sie wurde im Zuge der Beschlüsse des »Runden Tisches Sexarbeit« in Berlin im Jahr 2020 angestoßen. Im Rahmen der Kampagne entstand u.a. ein biografisches Theaterstück, der Podcast »DESIRE« (zu hören in der ARD Mediathek) und eine audiovisuelle Ausstellung. Die Inhalte der Kampagne entstanden unter steter Mitarbeit von Sexarbeitenden.